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AutorenbildPascal Sure Can

,,Das Küken braucht Nestwärme, bevor es zu fliegen beginnt.’’

Dieses Zitat habe ich von einer der beiden Gesangsmeisterinnen meines Vertrauens und sagt so viel über einen wichtigen Teil des Gesangsunterrichts aus, der oft vergessen wird.

Uns Gegenüber steht ein Mensch, der eigene Erfahrungen, Gefühle, Hormone, Zustände, Meinungen, Prozesse, Umstände, Eigenarten, Erwartungen und eine ganz eigene Persönlichkeit besitzt. Im Gesangsunterricht bilden wir zwar die (Gesangs-)Stimme aus, gleichzeitig entwickelt sich der Mensch, der hinter der Stimme steht, immer weiter. Denn was wir eigentlich im Unterricht tun, ist die Stimme zu befreien. Wir befreien sie von Altlasten, Verspannungen, Fehlfunktionen und verhelfen dazu, dass sie sich in ihrer natürlichen Einstellungen bewegen darf. Das kann unter anderem dazu führen, dass gleichzeitig mit der Befreiung der Stimme sich die Persönlichkeit befreit oder sogar wächst. Denkprozesse werden aktiviert, Reflektionsmöglichkeiten werden gegeben, Wünsche werden geäußert: Wer bin ich? Wie klinge ich? Wie will ich klingen?


Kein Zustand hat ewigen Bestand. Weder der Mensch noch die Stimme. Und das macht die Arbeit an der Stimme so interessant. Wir können nur in Prozesse eingreifen. Allein dadurch, dass Singen ganz trivial gesehen ein Prozess ist, in dem Luft an den Stimmlippen vorbeifließt, ist Singen eigentlich nur eine hörbare Bewegung kleinster Muskel. Da dieses muskuläre System zu dem Nervensystem gehört, auf das wir keinen direkten Einfluss haben, und wir es auch nur indirekt beeinflussen können, werden jegliche didaktische Überlegungen entkräftet, die die Schüler:innen in den Fokus der Verantwortung zu stellen vermögen. In diesem Zusammenhang meine ich nicht die Verantwortung gut vorbereitet in den Unterricht zu kommen, Noten geklebt parat zu haben, sondern die Verantwortung stimmlicher Ausführung. Lehrende, die bei stimmlichen Kiekser, Wackler oder Registerungleichheit die Schuld bei den Singenden suchen, vergessen dabei, dass sie eine Teilverantwortung dafür besitzen. Warum ich das in diesem Zusammenhang anführe: Wenn sich Auffälligkeiten in der Stimme zeigen, benötigt das Gegenüber der Lehrenden Hilfestellung, damit die Stimme funktioniert. Es ist die Aufgabe der Lehrenden diese Hilfestellung mithilfe von Übungen und Anweisungen so zu gestalten, dass die Singenden ihr Ziel erreichen. Kiekser, Wackler oder andere Phänomene sind meistens für die Singenden sowieso schon unangenehm und in den seltensten Fällen absichtlich. Wird den Singenden die Schuld für das stimmlich Ungewollte - für das sie nichts können, denn sie sind ja bisher so ausgebildet worden - zugeschrieben, lenken Lehrende von dem grundsätzlichen Fakt ab, dass sie die Stimme so ausgebildet haben und eine Verantwortung dafür besitzen.


Statt in meinem Gegenüber eine Schuld zu suchen, ist es doch viel spannender (für alle) den Ursachen der Kiekser und Wackler auf den Grund zu gehen. Damit wir das allerdings können, brauchen wir einen Raum, in dem ,,Fehler’’ keine Fehler sind, sondern Türen für unbekannte Wege, Potenziale, Möglichkeiten zu wachsen. Und diese Art der Arbeit erfordert vor allem eines: Respekt für die Singenden, Anerkennung des Anderssein und Liebe zu dem Menschen!

Daher würde ich vorschlagen: Kiekst und wackelt, was das Zeug hält. Erforscht und probiert aus. Lasset euch Flügel wachsen und fliegt.


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1 Comment


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Oct 29, 2023

Danke du Toller! Schöne Perspektive, schöner Text ❤️

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